Wer hat den Zebrastreifen geklaut?

 

Als ich an einem der letzten lauschigen Abende in diesem Spätherbst an den Rüdesheimer Weinstand gehen wollte, stellte ich überrascht fest, dass auf einmal hinter dem großen Parkplatz ein Zebrastreifen war.

Der war noch nie dort gewesen, also war ich etwas überrascht: Hatten sich feucht-fröhliche Besucher der Drosselgasse vielleicht kurz vor der Abfahrt noch einen Streich einfallen lassen und kurzerhand den Zebrastreifen von der Verkehrsinsel an der Straßenecke zur Rheinstraße zum Parkplatz verschoben. Obwohl, Zebrastreifen, die man einfach von Boden abmacht und dann woanders wieder hinklebt, hat bisher noch keiner erfunden. Wäre aber eine praktische Idee, wenn häufiger der Straßenübergangsort gewechselt würde.

Ich warf einen Blick auf die Straßenecke, wo der Zebrastreifen gewöhnlich friedlich mit den beiden anderen Straßenübergängen um eine kleine dreieckige Verkehrsinsel gruppiert gelegen hatte.

Dort hatte man anscheinend arg gehaust, selbst die Insel hatte dran glauben müssen. Und dies schienen nicht feucht-fröhliche Drosselgassenbesucher gewesen zu sein, sondern das sah eher amtlich aus.

Also sah ich nach rechts, beide Spuren der Straße gehen ja in die gleiche Richtung. Ein Lieferwagen kam auf mich zugepest und hielt dann am Zebrastreifen an, um mich über die Straße zu lassen. Kurz bevor ich auf die andere Spur wechselte, spähte ich vorsichtig um den Lieferwagen herum, denn weder ich konnte auf die Nebenspur sehen, noch konnte ein ankommender Wagen auf der anderen Spur sehen, ob da gerade jemand über die Straße ging. Da kam auch gerade ein Wagen angebraust, der jetzt abbremste, weil er wohl meine Nase wahrgenommen hatte, so dass ich unbeschadet an den Weinstand kam.

Dort schimpfte ich erstmals wie ein Rohrspatz, als ich mich mit meinem Weinchen an einen der Tische mit den anderen Besuchern des Standes gesetzt hatte.

„Wer hat denn die dolle Idee mit dem Zebrastreifen gehabt? Da muss man ja aufpassen, wenn man über die Straße geht. War das der Bürgermeister?“

„Nein, das macht jetzt Hessen Mobil.“, antwortete einer der Rentner am Tisch.

„Wer ist das denn?“, fragte ich neugierig.

„Das ist die Firma, die sich im Auftrag des Verkehrsministeriums um den Straßenverkehr kümmert.“

„Und da hat wohl einer gemeint, die Verkehrsinsel hier in Rüdesheim passt nicht in das gleichmäßige Straßenbild in ganz Hessen, und deshalb wird sie kurzerhand entfernt“, ärgerte ich mich.

„Naja, ganz so einfach wird es nicht sein. Aber ich finde die Idee auch nicht gut. Jetzt muss ich, wenn ich von der Stadt zum Markt am Mittwoch will, wirklich den Umweg bis zur Mitte der Straße machen, um dann wieder zurück zum Marktstand zu kommen. Die Verkehrsinsel war übersichtlicher und praktischer.“

„Also ich geh weiterhin wie früher über die Straße, Verkehrsinsel hin oder her. Die da oben können mich mal“, mischte sich ein anderer Rentner ein.

„Oh, das ist aber jetzt schade, das ist leider kein Pluspunkt für die Obrigkeit.“

„Na, die sollten auch mal bei uns nachfragen, bevor sie uns einfach mal den Zebrastreifen klauen!“